Unzulässiger Verfall von virtuellen Anteilen nach Kündigung

Mitarbeiter von Unternehmen dürfen bereits ausübbare virtuelle Optionsrechte nach Eigenkündigung nicht sofort verlieren. Eine solche Verfallsklausel ist unwirksam. Gleiches gilt, wenn ausübbare Optionsrechte stückweise innerhalb von zwei Jahren nach Ausscheiden des Mitarbeiters verfallen. 

Um Mitarbeiter zu motivieren, bieten Arbeitgeber ausgewählten Führungskräften immer häufiger virtuelle Optionsrechte an. Diese geben dem begünstigten Mitarbeiter einen Anspruch auf Geldzahlung im Falle des Verkaufs des Unternehmens. Der Mitarbeiter wird bei Verkauf finanziell so gestellt, als hätte er echte Anteile am Unternehmen erworben. Die Optionen sind meistens erst nach Ablauf einer bestimmten Periode, genannt „Vesting", ausübbar. Dabei sind die Optionen nicht auf einmal „gevestet", sondern während der Vesting-Periode werden die Optionsrechte stückweise „gevestet", d.h. ausübbar. Die gesamte Vesting-Periode erstreckt sich üblicherweise auf etwa vier Jahre. Damit die virtuellen Optionen zu Geld werden, ist außerdem regelmäßig ein Ausübungsereignis wie ein Verkauf oder ein Börsengang erforderlich. 

Was passiert bei Kündigung des Mitarbeiters? 

Doch was passiert mit den bereits „gevesteten", aber typischerweise noch nicht ausgeübten Optionsrechten, wenn der Mitarbeiter kündigt? Der Mitarbeiter kann diese an sich ausübbaren Optionsrechte nicht verwerten, weil noch kein Verkauf des Unternehmens erfolgt ist. Verbreitet sind insoweit Verfallsklauseln, die einen Verfall der virtuellen Optionsrechte vorsehen. Das BAG entschied kürzlich in einer noch unveröffentlichten Entscheidung, dass eine solche Klausel aufgrund unangemessener Benachteiligung der Arbeitnehmerinteressen unwirksam sei, wenn die virtuellen Optionsrechte sofort nach Eigenkündigung oder stückweise über einen Zeitraum von zwei Jahren verfallen. 

Kläger machte Anspruch auf „gevestete” virtuelle Optionsrechte geltend 

Der Kläger war bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung des Klägers. Während seiner Anstellung erhielt der Kläger virtuelle Optionsrechte an der Beklagten. Gemäß den Bestimmungen des Mitarbeiter-Aktienoptionsplans (Employee Stock Option Provisions, kurz: „ESOP") der Beklagten verfallen bereits „gevestete" virtuelle Optionsrechte im Falle der Eigenkündigung sofort. In anderen Fällen verfallen „gevestete" virtuelle Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses über einen Zeitraum von zwei Jahren stückweise. Die Vesting-Periode betrug insgesamt vier Jahre. Dabei war das Vesting ausgesetzt, wenn der Arbeitnehmer von seiner Pflicht zur Arbeitsleistung ohne Gehaltsanspruch befreit wird. 

Als der Kläger ausschied, waren knapp ein Drittel der ihm zugeteilten virtuellen Optionen „gevestet“. Der Kläger machte seinen Anspruch auf diese virtuellen Optionen geltend. Die Beklagte lehnte den Anspruch unter Verweis auf den Verfall der Optionsrechte ab. Sie argumentierte, die Zweckrichtung der virtuellen Optionen sei die Belohnung der Betriebstreue bis zum Eintritt eines Ausübungsereignisses. Es handle sich lediglich um eine Verdienstchance, so dass bei einem Verfall kein verdienter Lohn entzogen werde.  

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die erhobene Feststellungsklage abgewiesen. Mit seiner Revision hatte der Kläger Erfolg. 

BAG: „gevestete” virtuelle Optionen stellen eine Gegenleistung für die Arbeitsleistung dar – Verfall benachteiligt den Kläger unangemessen 

Die „gevesteten" virtuellen Optionen sind nach Auffassung des BAG aufgrund der Kündigung nicht verfallen. Die Klauseln des ESOP seien als Allgemeine Geschäftsbedingungen zu qualifizieren und unwirksam, da sie den Kläger unangemessen benachteiligten. Die bereits „gevesteten" virtuellen Optionen stellten nach dem BAG – zumindest auch – eine Gegenleistung für die vom Kläger erbrachte Arbeitsleistung dar. Dies ergebe sich vor allem aus der Regelung des ESOP, nach der die Vesting-Periode für den Zeitraum ausgesetzt wird, in dem der Arbeitnehmer keinen Entgeltanspruch erwirbt. Der sofortige Verfall der „gevesteten" Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses berücksichtige die Interessen des Arbeitnehmers, der seine Arbeitsleistung bereits erbracht hat, nicht angemessen. Nach dem Senat würde diese Regelung zudem die Kündigung des Arbeitsverhältnisses unverhältnismäßig erschweren. Der Arbeitnehmer werde nämlich gezwungen mögliche Vermögenseinbußen zu vermeiden und das Arbeitsverhältnis bis zum Eintritt eines ungewissen Ausübungsereignisses fortzusetzen.  

Auch der sukzessive Verfall der virtuellen Optionen über einen Zeitraum von zwei Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses benachteilige den ausscheidenden Arbeitnehmer unangemessen. Diese Verfallsklausel ermöglicht, dass die virtuellen Optionen doppelt so schnell verfallen, wie sie während der Vesting-Periode erworben wurden.

BAG stärkt mit dieser Entscheidung Rechte des Arbeitnehmers 

Das BAG gibt mit dieser Entscheidung seine frühere Rechtsprechung zu den Grenzen der Zulässigkeit von Verfallsklauseln in Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen auf. Im Jahre 2008 judizierte das BAG noch, dass der Verfall bereits „gevesteter", aber noch nicht ausgeübter Aktienoptionen mit § 307 Abs. 1 BGB vereinbar ist. Dabei argumentierte das Gericht unter anderem, dass Optionsrechte im Gegensatz zu anderen Sondervergütungen einen ungleich größeren spekulativen Charakter hätten. Die begünstigten Mitarbeiter könnten daher nicht auf die Werthaltigkeit der Optionen vertrauen und seien weniger schutzwürdig. Von dieser Auffassung nimmt das BAG nun Abstand und stärkt damit die Rechte des Arbeitnehmers in Zusammenhang mit virtuellen Optionen. Das Gericht hebt den Vergütungscharakter von virtuellen Optionen, entsprechend dem gesetzlichen Leitbild nach § 611a Abs. 2 BGB – Arbeit gegen Vergütung – hervor.  

Anmerkung für die Praxis 

Das Urteil ist praktisch relevant. Die meisten Mitarbeiterbeteiligungsprogramme sehen Verfallsklauseln vor, die jetzt einer erneuten Prüfung zu unterziehen sind. Dabei dürften aufgrund der verschärften Rechtsprechung viele Verfallsklauseln zu revidieren sein. Zu erwarten ist, dass Verfallsklauseln hinsichtlich bereits „gevesteter" Optionsrechte bei einer ordentlichen Eigenkündigung wie hier allenfalls nur noch sehr eingeschränkt möglich sind. Der Verfall bereits „gevesteter" Optionsrechte könnte demnach zulässig sein, wenn die Optionen höchstens so schnell verfallen, wie sie ursprünglich „gevestet" wurden. Hier sind jedoch die vollständigen Urteilsgründe noch abzuwarten. Verfallsklauseln für noch nicht „gevestete" Optionsrechte waren nicht Gegenstand des Urteils und sind wie bisher zulässig. 


(BAG, Urteil v. 19.03.2025 – 10 AZR 67/24)


Autoren:

Christian Burmeister, Rechtsanwalt, ADVANT Beiten Berlin, Freiburg

Damien Heinrich, Rechtsanwalt, ADVANT Beiten, Freiburg

Alexander Gräßel, Rechtsanwalt, ADVANT Beiten, Freiburg, München




Schlagworte zum Thema:  Recht, Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht