AGB-Rechtsreförmchen - mehr Vertragsfreiheit

Die die Rechtsthemen verhandelnde Arbeitsgruppe 1 aus CDU/CSU/SPD ist sich einig: Das AGB-Recht soll reformiert werden. Das geht aus dem Arbeitspapier aus den Koalitionsverhandlungen (Stand 24.3.2025) hervor.

Geeinigt haben sich die Mitglieder der AG 1 auf folgenden Text: 

„Reform des AGB-Rechts: Wir werden das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
reformieren, um sicherzustellen, dass sich große Kapitalgesellschaften nach § 267 III HGB, wenn sie untereinander Verträge unter Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) schließen, darauf verlassen können, dass das im Rahmen der Privatautonomie Vereinbarte auch von den Gerichten anerkannt wird.“

Anwendungsbereich: nur jeder 36.000. Vertrag

Dem Wortlaut nach soll sich die Reform auf Verträge zwischen großen Kapitalgesellschaften beschränken. Das sind Kapitalgesellschaften (v.a. GmbH und AG), die zwei oder drei der folgenden Merkmale erfüllen: eine Bilanzsumme von über 25 Mio. EUR, jährliche Umsatzerlöse von über 50 Mio. EUR, mehr als 250 Arbeitnehmer. In diese Kategorie fallen aber nur ca. 16.000 Unternehmen in Deutschland (manche Quellen gehen auch von weniger Unternehmen aus).

In Anbetracht der Gesamtzahl der Unternehmen in Deutschland von über 3 Millionen (davon mehr als 800.000 Kapitalgesellschaften) heißt das, dass nur rund 5 Promille aller deutschen Unternehmen in den Anwendungsbereich der Reform fallen würden (genau: 0,53%).

Die Änderung soll zudem nur greifen, wenn beide Unternehmen in die Kategorie der großen Kapitalgesellschaften einzuordnen sind („wenn sie untereinander Verträge schließen“). Wenn wir hier einmal mit den 0,53% rechnen, würde (0,0053 * 0,0053 = 0,00002809) rein statistisch nur jeder sechundreißigtausendste Vertrag der Reform unterfallen (ob große Kapitalgesellschaften über- oder unterdurchschnittlich häufig mit anderen großen Kapitalgesellschaften als mit sonstigen Unternehmen Verträge abschließen, ist mir allerdings unbekannt – am Gesamtbild würde sich aber wohl auch bei entsprechendem Korrekturbedarf nichts ändern).

Stärkung der Privatautonomie

Wenn es heißt, dass durch die ұٳäԻܲԲ sichergestellt werden soll, dass sich große Kapitalgesellschaften, wenn sie untereinander Verträge unter Verwendung von AGB schließen, darauf verlassen können, dass das im Rahmen der Privatautonomie Vereinbarte auch von den Gerichten anerkannt wird, wird ein Problem angesprochen, das schon lange und zunehmend intensiv diskutiert wird. Die Vertragsparteien können auch bei B2B-Verträgen häufig nicht das wirksam regeln, was sie wollen. Damit wird ihre grundgesetzlich verbriefte (Art. 12, 14, 2 GG) Vertragsfreiheit erheblich eingeschränkt.

Die meisten Verträge im Wirtschaftsleben sind rechtlich betrachtet AGB. AGB sind gemäß § 305 Abs. 1 BGB alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei stellt, soweit sie nicht zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind. Die Gerichte legen die qualifizierenden Tatbestandsmerkmale (m.E.: zu) streng zu Lasten des Klauselverwenders aus; das gilt insbesondere für das Positivmerkmal der Vorformulierung für eine Vielzahl von Verträgen und auch das Negativmerkmal des Aushandelns. Die Frage, ob eine vertragliche Regelung einseitig gestellt und nicht ausgehandelt wurde, bezieht der BGH auf die einzelne Klausel und nicht auf das Vertragswerk insgesamt. In Konsequenz sind auch Verträge zwischen Unternehmen oder jedenfalls die meisten ihrer Klauseln in aller Regel als AGB zu qualifizieren.

Damit unterliegen diese einer strengen Inhaltskontrolle (§ 307 BGB). Das, was den Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, ist unwirksam.  Und was unangemessen in diesem Sinne ist, ist Richterrecht. Die Gerichte orientieren sich dabei auch bei B2B-Verträgen häufig an den nicht direkt anwendbaren §§ 308, 309 BGB, die Kataloge von Klauseln enthalten, die in B2C-Verträgen unwirksam sind.

Dies engt den Spielraum für die Vertragsgestaltung erheblich ein – ein Umstand, der in der Praxis oft als übermäßig streng kritisiert wird. Die deutschen Gerichte differenzieren bei der Inhaltskontrolle oft nur wenig zwischen B2C- und B2B-Verträgen. In Konsequenz ist es z.B. praktisch kaum möglich, eine Begrenzung der Haftung (z.B. auf das Dreifache des Vertragswertes oder TEUR 100) zu vereinbaren, selbst wenn beide Parteien das für sachgerecht halten. In wohl keinem anderen Land der Erde gibt es ein so strenges B2B-AGB-Recht wie in Deutschland.

Mögliche Reformansätze

Wenn die Reform sicherstellen soll, „dass das im Rahmen der Privatautonomie Vereinbarte auch von den Gerichten anerkannt wird“, wird diese Kritik aufgegriffen. Wie diese Sicherstellung geschehen soll, wird freilich aus dem Arbeitspapier nicht ersichtlich. Denkbar scheinen insbesondere drei unterschiedliche Ansätze:

  • Verträge zwischen zwei großen Kapitalgesellschaften werden überhaupt nicht dem AGB-Recht unterworfen; insofern gälten dann nur noch die allgemeinen zivilrechtlichen Grenzen, insbesondere §§ 138 (Sittenwidrigkeit) und 242 (Treu und Glauben) BGB.
  • Der Begriff des Aushandelns wird weniger streng definiert oder durch einen anderen Begriff ersetzt. Z.B. könnte ein inhaltlicher Austausch über eine Klausel als ausreichend angesehen werden, um die Klausel dann nicht mehr als AGB anzusehen.
  • Es findet eine weniger strenge Inhaltsprüfung statt. Z.B. könnte als Wirksamkeitsmaßstab der in Art. 86 des Entwurfs für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht entwickelte Fairnesstest verwendet werden: Unfair und damit unwirksam wäre eine Klausel, wenn sie unter Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs gröblich von der guten Handelspraxis abweicht. Dieser Fairnesstest stellt eine deutlich niedrigere, und dabei den Gegebenheiten des Geschäftsverkehrs zwischen Unternehmen angemessen Rechnung tragende, Hürde dar als die an die Kataloge der §§ 308, 309 BGB angelehnte Unangemessenheitsprüfung nach § 307 BGB. Er versagt zugleich sittenwidrigen Klauseln die Wirksamkeit.

Sinnvoll erscheinen mir v.a. die letzten beiden genannten Ansätze. Allerdings sollte sich der Gesetzgeber nicht darauf beschränken, Regelungen zu treffen, die nur für einen von 36.000 Verträgen gelten. Auch mittelständische Unternehmen werden durch das AGB-Recht in der Auslegung der Gerichte stark in ihrer Privatautonomie eingeschränkt. Warum sollte ein kleines Unternehmen seine Haftung gegenüber einer großen Kapitalgesellschaft nicht einschränken dürfen, wenn ein Großunternehmen dies tun dürfte? Gut, wenn sich die potenziell zukünftig regierende Koalition des Themas annimmt. Aber etwas ambitionierter als es das Arbeitspapier ahnen lässt, sollte es schon sein.